Im Nachgang zu unserer Feier zur Fertigstellung des Denkmals ist in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden, die Initiative Opferdenkmal habe die Opfer der NS-Euthanasie im Vergleich zu anderen Opfergruppen nur unzureichend berücksichtigt. Dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Debatte um die Namensnennung von Euthanasieopfern.
Vor diesem Hintergrund hat Angelika Rieber einen Artikel geschrieben, in dem sie sowohl den Stand der Debatte in unserem Land darstellt, als auch eine Zusammenfassung gibt über die intensiv geführte Diskussion innerhalb unserer Initiative.
Gegen Vergessen
Erinnerung an die Opfer der NS-Euthanasie
Wie kann man angemessen an die Opfer der NS-Euthanasie erinnern? An vielen Orten gibt es hierzu zuweilen hitzig und emotional geführte Diskussionen, auch hier in Oberursel. Was ist der Hintergrund dieser Debatten? Strittig ist vor allem die Frage, ob die vollen Namen dieser Opfer genannt werden können, denn die Nennung der vollständigen Namen der Opfer der NS-Euthanasie ist gegenwärtig rechtlich nicht abgesichert. Da die Fristen für den Schutz von Persönlichkeitsrechten, üblicherweise 30 Jahre nach dem Tod, abgelaufen sind, stellt sich die Frage, was der Nennung der vollständigen Namen dieser Personengruppe entgegensteht. Akteneinsicht in Archivdokumente zu den Opfern der NS-Euthanasie wird beispielsweise nur unter der Voraussetzung gewährt, dass keine Klarnamen veröffentlicht werden. Eine der Begründungen lautet, es handele sich dabei um Krankenakten. Darüber hinaus seien schutzbedürftige Belange von Angehörigen der Opfer zu berücksichtigen. Die Namen der Opfer dürfen nur in teilanonymisierter Form genannt werden (z.B. Anton B.) Die Nennung der vollen Namen ist an die Zustimmung der Angehörigen gebunden. Es handele sich um ein mit Scham besetztes Thema, aus unterschiedlichsten Gründen und Motiven.
Auch in der heutigen Zeit fällt offensichtlich ein angemessener Umgang mit Menschen mit körperlichen, psychischen oder geistigen Beeinträchtigen schwer, sicherlich ein wesentlicher Grund für die Tatsache, dass es dem Bundesarchiv so schwer fällt, sich für eine Freigabe der Namen der Opfer der NS-Euthanasie zu entscheiden.
Die Befürworter der vollen Namensnennung führen demgegenüber an, diese Anonymisierung behandele die Opfer der NS-Verfolgung unterschiedlich, schaffe quasi Opfer 1. Klasse, die mit vollem Namen genannt werden dürfen, und anonyme Opfer 2. Klasse. Zu bedenken sei, dass die Opfer der NS-Euthanasie aufgrund eines systematischen Vernichtungsprogramms ermordet wurden. Von den Befürwortern der NS-Euthanasie wurden diese Menschen als „Ballastexistenzen“ bezeichnet und damit ihre Ermordung legitimiert. Etwa 300 000 Menschen wurden Opfer der NS-Euthanasie. Der volle Name, so argumentieren heute viele Forscher und Gedenkinitiativen, gebe den Opfern demgegenüber ihre Würde zurück und sei als Akt historischer Gerechtigkeit zu sehen.
Nun stellt sich die Frage, ob eher die Nennung der Namen die Würde der Opfer bzw. der Angehörigen verletzt oder das Verschweigen. Bundesweit wird das Thema kontrovers diskutiert, in Gedenkstätten, in Initiativen oder im Rahmen von Tagungen. Eine Entscheidung des Bundesarchivs zur Freigabe der Namen ist bislang nicht getroffen worden. Verschiedene Rechtsgutachten wägen der Pro und Contra ab und formulieren Thesen für einen angemessenen Umgang mit den Opfern der NS-Euthanasie. Es geht in diesen Gutachten vor allem um eine Abwägung zwischen schutzbedürftigen Belangen von Angehörigen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Wie geht man als Forscher angemessen mit diesem Spannungsfeld um? Wie wirkt sich diese Rechtslage auf die Erinnerungsarbeit vor Ort aus?
Einige Initiativen oder Einzelpersonen haben sich dazu entschlossen, die vollen Namen der Euthanasie-Opfer trotz ungesicherter Rechtslage und auch ohne Zustimmung von Angehörigen zu nennen. Zu bedenken ist hierbei, dass damit möglicherweise weitere Recherchen über Opfer erschwert werden, da der Zugang zu Archivunterlagen an Auflagen gebunden ist. Andere Initiativen haben sich entschlossen, abgekürzte, also teilanonymisierte Namen zu nennen, sofern keine Zustimmung von Angehörigen vorliegt. Viele Initiativen halten diese Abkürzungen der Namen jedoch für nicht vertretbar.
Schwierigkeiten der angemessenen Erinnerung an die Opfer der NS-Euthanasie: Diskussionen rund um das Oberurseler Opferdenkmal
Auch in der Arbeitsgemeinschaft „Nie wieder 1933“ bzw. der Initiative Opferdenkmal wurde dieses Thema lange und kontrovers diskutiert. Anlass war die Frage der Gestaltung der Glastafel in der Mitte des Opferdenkmals. Die Mehrheit plädierte dafür, auf dieser Glastafel keine abgekürzten, sondern nur volle Namen zu nennen. Nur im Falle von Cäcilie Pagel war eine Namensnennung aufgrund der Zustimmung der Angehörigen möglich. Ein Gegenvorschlag zu diesem Mehrheitsbeschluss lautete, so lange auf eine Glastafel zu verzichten, bis sich die Rechtslage geändert hat bzw. die vollen Namen bekannt sind. Der Mehrheit erschien es demgegenüber nicht sinnvoll, bis zu einem ungewissen Zeitpunkt mit der Fertigstellung des Denkmals zu warten. Weiterhin gab es Bedenken gegen das Mehrheitsvotum, da mit dieser Lösung die Opfer der NS-Euthanasie, bei denen die Zustimmung der Angehörigen für die volle Namensnennung fehlt, in Vergessenheit geraten könnten. Auch abgekürzte Namen seien daher vorstellbar.
So kam ein Kompromiss zustande. Baldmöglichst sollen am Hospitalplatz in Verbindung mit dem Denkmal ergänzende Tafeln angebracht werden, auf denen auch die teilanonymisierten Namen zu finden sind. Ebenso soll dort die Problematik der vollen Namensnennung erläutert werden. Diese Tafeln können bei Änderung der Rechtslage ausgetauscht, ebenso dort Ergebnisse weiterer Forschungen und damit gegebenenfalls neue Namen ergänzt werden.
Weiterhin haben die Autoren des Buches „Haltet mich in gutem Gedenken – Erinnerung an Oberurseler Opfer des Nationalsozialismus“ die Namen der mit Oberursel verbundenen Opfer der NS-Euthanasie sowie fünf Biographien in teilanonymisierter Form dokumentiert.
Das Denkmal ist fertig, doch die Auseinandersetzung um eine würdige Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit wird uns noch weiter beschäftigen. Das Ziel, dem Vergessen entgegenzuwirken und die Opfer in gutem Gedenken zu halten, sollte uns dabei leiten.
Angelika Rieber